Unsere Forschungsdaten aus dem Mai 2023 zeigen, dass sich das gesellschaftliche Bild der Klimabewegung zuletzt merklich verändert hat. Wir formulieren Leitfragen dazu, was die Klimadebatte jetzt braucht.
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Unsere Forschungsdaten aus dem Mai 2023 zeigen, dass sich das gesellschaftliche Bild der Klimabewegung zuletzt merklich verändert hat. Wir formulieren Leitfragen dazu, was die Klimadebatte jetzt braucht.
In den letzten Monaten war in der deutschen Öffentlichkeit viel von Klima-Aktivismus die Rede. Vor allem die Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ wurden in Medien und Politik intensiv debattiert. Die Temperatur der gesellschaftlichen Auseinandersetzung rund um das Thema stieg rasch, teils kam es zu Gewalt am Ort der Proteste. War das Ziel der Aktionen die Erregung gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, dann hat die „Letzte Generation“ dieses Ziel erreicht.
Zugleich läuft unter Beobachterinnen und Beobachtern, aber natürlich auch in der deutschen Klimabewegung selbst eine lebhafte Diskussion darüber, wie sich all das nun auf den weiteren Verlauf der Klimadebatte auswirken wird: Bringen die Aktionen Menschen zum Nachdenken? Gerät die Politik so unter akuteren Handlungsdruck? Oder wirken die Proteste vielmehr negativ auf das Ansehen der Klimabewegung und ihrer Sache in der Bevölkerung?
Wir bei More in Common haben uns diese Fragen auch gestellt. Schließlich forschen wir seit mehreren Jahren zur Dynamik der deutschen Klimadebatte. Uns interessiert vorrangig eine Frage: Wo eint uns das Thema Klimaschutz, wo kann es uns spalten? In unserer großen Klima-Studie aus dem Jahr 2021 hatten wir Befunde ermittelt, die Anlass zur Hoffnung gaben: Die Sorge über den Klimawandel war in der Bevölkerung breit geteilt, nicht zuletzt die Klimastreiks junger Menschen hatten auf unterschiedliche Bevölkerungssegmente Eindruck gemacht, und eine Mehrheit bekannte sich grundsätzlich zu den Zielen der Klimaschützerinnen und Klimaschützer. Ja, es gab noch große Verbesserungspotenziale im Gespräch zwischen Klima-Akteuren und Menschen etwa aus dem „Unsichtbaren Drittel“, die sich von der Bewegung nicht gesehen, repräsentiert oder gemeint fühlten – aber das verbindende Potenzial in der Sache war beachtlich (weitere Informationen zu unserem sozialpsychologischen Forschungsansatz finden sich hier).
Wir wollten angesichts der neuesten Entwicklungen nachprüfen, was seither aus diesen Befunden geworden ist. In unserer aktuellen quantitativen Erhebung vom 9. bis 24. Mai 2023 haben wir deshalb in erneuter Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Kantar Public bei insgesamt 2.016 Menschen ab 18 Jahren (per soziodemographisch quotierter Online-Panel-Befragung) nachgefragt, wie sie denn heute auf die Klimabewegung blicken.
Wir müssen gleich zu Beginn sagen: Die Verschiebungen in der Bewertung der Klima- und Umweltbewegung sind erheblich. Die allgemeine Unterstützungsbereitschaft gegenüber Klimaschützerinnen und -schützern hat sich de facto seit 2021 halbiert, von 68 auf 34 Prozent. Auffallend ist auch, dass die Zustimmung zur Aussage „Die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland hat das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick“ von 60 auf 25 Prozent abgestürzt ist. Viele Menschen, die die Klimabewegung vor zwei Jahren noch für einen gesamtgesellschaftlich förderlichen Akteur hielten, tun dies derzeit offenbar nicht mehr.
Was dabei auffällt: Diese Verluste verteilen sich recht symmetrisch über alle unsere sechs gesellschaftlichen Typen. Das heißt, dass Klimaschützerinnen und Klimaschützer derzeit nicht nur in bestimmten, sondern in allen Gesellschaftsteilen Reputationsverluste erleiden – also auch in Segmenten wie den Offenen oder Involvierten, die ihnen von Hause aus näherstehen. Alle Gesellschaftsteile stehen der Klimabewegung heute deutlich kritischer gegenüber als vor zwei Jahren – bei niemandem hat sie hinzugewonnen oder ihren Stand gehalten.
Dabei scheint die wahrgenommene Ferne zwischen vielen Menschen und den Aktivistinnen und Aktivisten gewachsen zu sein. Dies zeigt sich an den veränderten Antworten auf diejenigen unserer Fragen, die die empfundene Nahbarkeit der Klimabewegung und ihre wahrgenommene Fähigkeit zum Gespräch mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen messen sollen. Um mehr als die Hälfte verringert hat sich der Anteil derer, die finden, dass die Klima- und Umweltbewegung „offen dafür ist, dass Leute wie ich bei ihr mitmachen“ (von 63 auf 29 Prozent); und jener, die finden, dass die Bewegung eine „verständliche Sprache“ spricht (von 65 auf 28 Prozent). Zuletzt wirkte die Bewegung insgesamt also stärker aus- als einladend auf große Teile der Bevölkerung.
Ist es zulässig, eine direkte Verbindung zwischen diesen Daten und den Protestaktionen der letzten Zeit herzustellen?
Derzeit urteilen 85 Prozent der Befragten, dass die Klima- und Umweltbewegung „häufig mit ihren Protestaktionen zu weit“ geht, und zwar mit breiten Mehrheiten in allen gesellschaftlichen Typen. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 sagte dies lediglich rund die Hälfte der Befragten – und zwar mit großen Unterschieden zwischen eher unterstützenden und eher kritischen Segmenten. Heute herrscht dagegen eine neue Einhelligkeit beim Negativurteil. Wenn wir Menschen dann konkret fragen, ob sie eigentlich eher Verständnis oder kein Verständnis für die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ haben, äußern nur 8 Prozent Verständnis. 85 Prozent reagieren mit Unverständnis.
Und das obwohl in unseren (zusätzlich durchgeführten) qualitativen Forschungsgesprächen viele Menschen die grundsätzliche Notwendigkeit von starken Aktionen für den Klimaschutz durchaus anerkennen, und die Straßenblockaden auf dieser Ebene teils verteidigen! Es ist vielen Menschen möglich, die konkreten Proteste in ihrer Machart abzulehnen und dennoch um die Bedeutung von Klimaengagement zu wissen. Das Motiv der Klima-Dringlichkeit („etwas muss doch geschehen“) ersetzt allerdings bei den meisten Leuten nicht die Frage danach, wie man bei Aktionen vorgeht und an wen man sich mit Aktionen richtet. Und in dieser Hinsicht scheint vielen der wichtigste Punkt, dass es nicht richtig sei, mit Aktionen die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Alltag treffen zu wollen.
Wir von More in Common haben bereits 2021 geschrieben, dass die Klimadebatte ein großes destruktives Potenzial haben kann, wenn sie falsch läuft. Falsch laufen heißt: wenn sie Menschen entlang kultureller Gräben gegeneinander in Stellung bringt. Wenn erst einmal ein Kulturkampf anhand falscher oder unnötiger Antagonismen, etwa der vermeintlichen Trennlinie zwischen Aktivistinnen einerseits und pendelnden Arbeitnehmern andererseits, in Fahrt kommt, dann kann er das positive Klimaschutz-Potenzial mit sich reißen, das es in den Köpfen der Menschen gibt. Es geht dann nicht mehr darum, wie wir erfolgreich das Klima schützen können; sondern darum, auf „welcher Seite“ man steht. Loyalitäten, Selbstverständnisse und Lebensstile bilden dann das Zentrum der Debatte, und nicht mehr die Suche nach den besten – weil effektiven und gerechten und das Land besser machenden – Klimalösungen.
Es sollte um etwas anderes gehen. Unsere Befunde von 2021 hatten klar gezeigt, dass das eigentliche Hauptproblem beim Klimaschutz ein fehlender Glaube an die kollektive Handlungsfähigkeit war. Klimapolitik ist schlicht und ergreifend in den meisten Köpfen noch nicht als positive Gestaltungspolitik verankert: die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich in der Verbraucherrolle vereinzelt, man vertraut nicht auf den Beitrag der anderen, insbesondere nicht auf den Beitrag großer Akteure und Unternehmen. Die Klimapolitik nehmen viele traditionell als Verlust- und Sanktionierungspolitik gegenüber den „einfachen“ Leuten wahr. Die Klimadebatte wiederum nimmt man als potenziell spaltend wahr, man fürchtet den überscharfen Vergleich von Lebensstilen. Es gibt also mehrere Baustellen, wenn Klimaschutz zu einem gesamtgesellschaftlichen Gewinnerthema werden soll, das Menschen in der Breite überzeugt.
Wie sehen konkrete Klimaschutzpolitiken und -angebote aus, die Menschen Zuversicht vermitteln, dass wirklich alle ihren fairen Beitrag leisten? Dass insbesondere „große Akteure“ aus der Wirtschaft ihren Teil tun?
Wie sieht ein „positiv gewendeter“ Klimaschutz aus, der – neben dem Klimaschutz selbst – auch andere Zukunftsbedürfnisse der Menschen systematisch aufgreift und konkrete Angebote schafft? Etwa neue kollektive Infrastrukturen im Verkehr und der Daseinsvorsorge, die sich Menschen in der Regel dringlich wünschen? Gerade in Zeiten der Krise, in denen laut unseren Daten 99 Prozent der Menschen die Auswirkungen steigender Preise persönlich spüren, sind diese Aspekte sehr wichtig. Dabei geht es nicht um Schönfärberei und das Verschweigen von „Zumutungen“: Aus unseren Forschungsgesprächen wissen wir, dass die meisten Menschen wohl wissen, dass sich Dinge an unserer Lebensweise ändern werden. Und trotzdem bzw. gerade deswegen brauchen sie dabei positive, Zuversicht stiftende Zielbilder. Hier ist programmatische Arbeit gefragt.
Wie sieht eine Klimakommunikation aus, bei der Menschen außerhalb aktivistischer Krise spüren, dass Klimaschutz auch IHR Klimaschutz ist? Ein Klimaschutz, der in Ton und Sache Identität stiftet, Wertschätzung für unterschiedliche Werte- und Lebenswelten aufbringt?
Wie sehen neue Handlungsallianzen für den Klimaschutz in der Gesellschaft aus? Was kann die Rolle von Gewerkschaften, Interessensverbänden, Vereinen, „Alltagsheldinnen“ aus dem sozialen Bereich, und anderen sein, wenn es darum geht, das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven konstruktiv mit Leben zu füllen?
Unsere jetzigen Zahlen sind eine - wenngleich eindrucksvolle - Momentaufnahme. Wir sind zuversichtlich, dass unter der Oberfläche der schwierigen Befunde weiterhin ein gefestigtes Problembewusstsein in der Bevölkerung und ein Bedürfnis nach kollektivem Handeln vorherrscht. Unsere Forschungsgespräche von Angesicht zu Angesicht mit unseren gesellschaftlichen Typen haben uns darin bestärkt.
Es liegt also an den Akteuren, aus der derzeitigen Negativdynamik auszubrechen – um den konstruktiven Ton beim gemeinsamen Klimaschutz wiederzufinden. Denn auf lange Sicht brauchen wir beim Klimaschutz ein Mehr an Verständigungsfähigkeit und Ideen, die die Gesellschaft in ihrer Breite überzeugen.